„Dürfen Die Das“ bei Galileo zeigen?

NEIN!

Eben habe ich mit Entsetzen ein Video von „Galileo“  gesehen. Das hat mich sehr beängstigt. Jedem Suchenden kann ich nur empfehlen, der Versuchung des Ansehens zu widerstehen.

Da wird das Aufnahmeritual sehr deutlich dargestellt. Zugegeben, einige Passagen fehlen. Nichtsdestotrotz, das geht alles in allem gar nicht!

Die Aufnahme in den Bund der Freimaurer ist etwas sehr Privates, eine individuelle Erfahrung, die niemand missen will. Jeder Bruder kann sich an den Tag erinnern, auch wenn der dreißig, vierzig oder fünfzig Jahre zurückliegt.

Mich persönlich haben noch nie so viele freundschaftliche Gesichter angesehen und das ist nach Jahren immer noch so. 

 

Buchtipp: „Zeitzittern“ von Gerd Scherm

„Zeitzittern“ von Gerd SchermAuf dem

Auf dem Rücken des Buches „Zeitzittern“ von Gerd Scherm, findet sich der Text:

Die Aufzeichnungen des Leopold Branntwein

Leopold Branntwein, geboren 1891 in Prag, Schriftsteller, Freimaurer und verzweifelt-hoffender Weltverstehenssehnsüchtiger. Ein Suchender der k.u.k.-Zeit, in und zwischen den Weltkriegen, den wilden Zwanzigern und den dunklen Jahren danach. Er suchte die Wahrheit auf dem Monte Verità ebenso wie in seinen Träumen. Er war ein Cousin von Franz Kafka und stand in Kontakt mit interessanten Zeitgenossen: Dem Jugendstil-Künstler Alfons Mucha, dem Esoteriker Theodor Reuß, den Anarchisten Raphael Friedeberg und Fritz Oerter, den Schriftstellern Hermann Hesse, Alfred Kubin, Gustav Meyrink, Leo Perutz und Herzmanovsky-Orlando. Ende der 1930er emigrierte er nach New York und die Wogen des Schicksals verschlugen ihn nach dem Zweiten Weltkrieg nach Franken. In seinen tagebuchartigen Skizzen spiegeln sich die Facetten einer Odyssee durch ein halbes Jahrhundert.

Das ist ein wundervolles Buch, das es zu lesen lohnt. Mit all seinen Bezügen zu Künstlern und Schriftstellern vergangener Jahre, regt es dazu an, das eine oder andere Buch noch einmal zu lesen oder es gar zum ersten Male zu lesen, auch -oder gerade- weil es aus dem letzten Jahrhundert stammt.
 
In der Bibliothek der „Loge Lessing zu flammenden Stern“ findet sich ab heute ein handsigniertes Exemplar des Buches von Gerd Scherm.
 

Ernst und Falk — Gespräche für Freymäurer

Gotthold Ephraim Lessing:

Ernst und Falk — Gespräche für Freymäurer

(entstanden 1776-1778)

Sr. Durchlaucht dem Herzoge Ferdinand

Durchlauchtigster Herzog,
Auch ich war an der Quelle der Wahrheit und schöpfte. Wie tief ich geschöpft habe, kann nur der beurteilen, von dem ich die Erlaubnis erwarte, noch tiefer zu schöpfen. – Das Volk lechzet schon lange und vergehet vor Durst. –
Ewr. Durchlaucht, untertänigster Knecht

Vorrede eines Dritten

Wenn nachstehende Blätter die wahre Ontologie der Freimaurerei nicht enthalten: so wäre ich begierig zu erfahren, in welcher von den unzähligen Schriften, die sie veranlaßt hat, ein mehr bestimmter Begriff von ihrer Wesenheit gegeben werde.
Wenn aber die Freimaurer alle, von welchem Schlage sie auch immer sein mögen, gern einräumen werden, daß der hier angezeigte Gesichtspunkt der einzige ist, aus welchem – sich nicht einem blöden Auge ein bloßes Phantom zeigt -, sondern gesunde Augen eine wahre Gestalt erblicken: so dürfte nur noch die Frage entstehen: warum man nicht längst so deutlich mit der Sprache herausgegangen sei?
Auf diese Frage wäre vierlerlei zu antworten. Doch wird man schwerlich eine andere Frage finden, die mit ihr mehr Ähnlichkeit habe, als die: warum in dem Christentume die systematischen Lehrbücher so spät entstanden sind? warum es so viele und gute Christen gegeben hat, die ihren Glauben auf eine verständliche Art weder angeben konnten noch wollten?
Auch wäre diese im Christentume noch immer zu früh geschehen, indem der Glaube selbst vielleicht wenig dabei gewonnen: wenn sich Christen nur nicht hätten einfallen lassen, ihn auf eine ganz widersinnige Art angeben zu wollen. Man mache hiervon die Anwendung selbst.
Erstes Gespräch

ERNST Woran denkst du, Freund?
FALK An nichts.
ERNST Aber du bist so still.
FALK Eben darum. Wer denkt, wenn er genießt? Und ich genieße des erquickenden Morgens.
ERNST Du hast recht; und du hättest mir meine Frage nur zurückgeben dürfen.
FALK Wenn ich an etwas dächte, würde ich darüber sprechen. Nichts geht über das laut denken mit einem Freunde.
ERNST Gewiß.
FALK Hast du des schönen Morgens schon genug genossen; fällt dir etwas ein; so sprich du. – Mir fällt nichts ein.
ERNST Gut das! – Mir fällt ein, daß ich dich schon längst um etwas fragen wollen.
FALK So frage doch.
ERNST Ist es wahr, Freund, daß du ein Freimaurer bist?
FALK Die Frage ist eines, der keiner ist.
ERNST Freilich! – Aber antworte mir gerade zu. – Bist du ein Freimaurer?
FALK Ich glaube es zu sein.
ERNST Die Antwort ist eines, der seiner Sache eben nicht gewiß ist.
FALK O doch! Ich bin meiner Sache so ziemlich gewiß.
ERNST Denn du wirst ja wohl wissen, ob und wenn und wo und von wem du aufgenommen worden.
FALK Das weiß ich allerdings; aber das würde so viel nicht sagen wollen.
ERNST Nicht?
FALK Wer nimmt nicht auf, und wer wird nicht aufgenommen!
ERNST Erkläre dich.
FALK Ich glaube ein Freimaurer zu sein; nicht sowohl, weil ich von älteren Maurern in einer gesetzlichen Loge aufgenommen worden: sondern weil ich einsehe und erkenne, was und warum die Freimaurerei ist, wenn und wo sie gewesen, wie und wodurch sie befördert oder gehindert wird.
ERNST Und drückst dich gleichwohl so zweifelhaft aus? – Ich glaube einer zu sein!
FALK Dieses Ausdrucks bin ich nun so gewohnt. Nicht zwar, als ob ich Mangel an eigner Überzeugung hätte: sondern weil ich nicht gern mich jemanden gerade in den Weg stellen mag.
ERNST Du antwortest mir als einem Fremden.
FALK Fremder oder Freund!
ERNST Du bist aufgenommen, du weißt alles –
FALK Andere sind auch aufgenommen und glauben zu wissen.
ERNST Könntest du denn aufgenommen sein, ohne zu wissen, was du weißt?
FALK Leider!
ERNST Wieso?
FALK Weil viele, welche aufnehmen, es selbst nicht wissen; die wenigen aber, die es wissen, es nicht sagen können.
ERNST Und könntest du denn wissen, was du weißt, ohne aufgenommen zu sein?
FALK Warum nicht? – Die Freimaurerei ist nichts Willkürliches, nichts Entbehrliches,  sondern etwas Notwendiges, das in dem Wesen Notwendiges, das in dem Wesen des Menschen und der bürgerlichen und der bürgerlichen Gesellschaft gegründet ist. Folglich muß man auch durch eignes Nachdenken ebensowohll darauf verfallen können, als man durch Anleitung darauf geführet wird.
ERNST Die Freimaurerei wäre nichts Willkürliches? – Hat sie nicht Worte und Zeichen und Gebräuche, welche alle anders sein können und folglich willkürlich sind?
FALK Das hat sie. Aber diese Worte und Zeichen und diese Gebräuche sind nicht die Freimaurerei.
ERNST Die Freimaurerei wäre nichts Entbehrliches? – Wie machten es denn die Menschen, als die Freimaurerei noch nicht war?
FALK Die Freimaurerei war immer.
ERNST Nun, was ist sie denn, diese notwendige, diese unentbehrliche Freimaurerei?
FALK Wie ich dir schon zu verstehen gegeben: – Etwas, das selbst die, die es wissen, nicht sagen können.
ERNST Also ein Unding.
FALK Übereile dich nicht.
ERNST Wovon ich einen Begriff habe, das kann ich auch mit Worten ausdrücken.
FALK Nicht immer; und oft wenigstens nicht so, daß andre durch die Worte vollkommen ebendenselben Begriff bekommen, den ich dabei habe.
ERNST Wenn nicht vollkommen ebendenselben, doch aus einen etwanigen.
FALK Der etwanige Begriff wäre hier unnütz oder gefährlich. Unnütz, wenn er nicht genug; und gefährlich, wenn er das Geringste zuviel enthielte.
ERNST Sonderbar! – Da also selbst die Freimaurer, welche das Geheimnis ihres Ordens wissen, es nicht wörtlich mitteilen können, wie breiten sie denn gleichwohl ihren Orden aus?
FALK Durch Taten. – Sie lassen gute Männer und Jünglinge, die sie ihres nähern Umgangs würdigen, ihre Taten vermuten, erraten, – sehen, so weit sie zu sehen sind; diese finden Geschmack daran und tun ähnliche Taten.
ERNST Taten? Taten der Freimaurer? – Ich kenne keine andere als ihre Reden und Lieder, die meistenteils schöner gedruckt als gedacht und gesagt sind.
FALK Das haben sie mit mehreren Reden und Liedern gemein.
ERNST Oder soll ich das für ihre Taten nehmen, was sie in diesen Reden und Liedern von sich rühmen?
FALK Wenn sie es nicht bloß von sich rühmen.
ERNST Und was rühmen sie denn von sich? – Lauter Dinge, die man von jedem guten Menschen, von jedem rechtschaffenen Bürger erwartet. – Sie sind so freundschaftlich, so guttätig, so gehorsam, so voller Vaterlandsliebe!
FALK Ist denn das nichts?
ERNST Nichts! – um sich dadurch von andern Menschen auszusondern. – Wer soll das nicht sein?
FALK Soll!
ERNST Wer hat, dieses zu sein, nicht auch außer der Freimaurerei Antrieb und Gelegenheit genug?
FALK Aber doch in ihr, und durch sie, einen Antrieb mehr.
ERNST Sage mir nichts von der Menge der Antriebe. Lieber einem einzigen Antriebe alle mögliche intensive Kraft gegeben! – Die Menge solcher Antriebe ist wie die Menge der Räder in einer Maschine. Je mehr Räder: desto wandelbarer.
FALK Ich kann dir das nicht widersprechen.
ERNST Und was für einen Antrieb mehr! – Der alle andre Antriebe verkleinert, verdächtig macht! sich selbst für den stärksten und besten ausgibt!
FALK Freund, sei billig! – Hyperbel, Quidproquo jener schalen Reden und Lieder! Probewerk! Jüngerarbeit!
ERNST Das will sagen: Bruder Redner ist ein Schwätzer.
FALK Das will nur sagen: was Bruder Redner an den Freimaurern preiset, das sind nun freilich ihre Taten eben nicht. Denn Bruder Redner ist wenigstens kein Plauderer: und Taten sprechen von selbst.
ERNST Ja, nun merke ich, worauf du zielest. Wie konnten sie mir nicht gleich einfallen diese Taten, diese sprechende Taten! Fast möchte ich sie scheiende nennen. Nicht genug, daß sich die Freimaurer einer den andern unterstützen, auf das kräftigtigste unterstützen: denn das wäre nur die notwendige Eigenschaft einer jeden Bande. Was tun sie nicht für das gesamte Publikum eines jeden Staats, dessen Glieder sie sind!
FALK Zum Exempel? – Damit ich doch höre, ob du auf der rechten Spur bist.
ERNST Z. E. die Freimaurer in Stockholm! – Haben sie nicht ein großes Findelhaus errichtet?
FALK Wenn die Freimaurer in Stockholm sich nur auch bei einer andern Gelegenheit tätig erwiesen haben.
ERNST Bei welcher andern?
FALK Bei sonst andern, meine ich.
ERNST Und die Freimaurer in Dresden! die arme junge Mädchen mit Arbeit beschäftigen, sie klöppeln und sticken lassen, – damit das Findelhaus nur kleiner sein dürfe.
FALK Ernst! Du weißt wohl, wenn ich dich deines Namens erinnere.
ERNST Ohne alle Glossen dann. – Und die Freimaurer in Braunschweig- die arme, fähige Knaben im Zeichnen unterrichten lassen-
FALK Warum nicht?
ERNST Und die Freimaurer in Berlin! die das Basedowsche Philanthropin unterstützen.
FALK Was sagst du? – Die Freimaurer? Das Philanthropin unterstützen? – Wer hat dir das aufgebunden?
ERNST Die Zeitung hat es ausposaunet.
FALK Die Zeitung! – Da müßte ich Basedows eigenhändige Quittung sehen. Und müßte gewiß sein, daß die Quittung nicht an Freimaurer in Berlin, sondern an die Freimaurer gerichtet wäre.
ERNST Was ist das? – Billigest du denn Basedows Institut nicht?
FALK Ich nicht ? Wer kann es mehr billigen?
ERNST So wirst du ihm ja diese Unterstützung nicht mißgönnen?
FALK Mißgönnen? – Wer kann ihm alles Gute mehr gönnen als ich?
ERNST Nun dann! – Du wirst mir unbegreiflich.
FALK Ich glaube wohl. Dazu habe ich Unrecht. – Denn auch die Freimaurer können etwas tun, was sie nicht als Freimaurer tun.
ERNST Und soll das von allen auch ihren übrigen guten Taten gelten?
FALK Vielleicht! – Vielleicht, daß alle die guten Taten, die du mir da genannt hast, um mich eines scholastischen Ausdruckes der Kürze wegen zu bedienen, nur ihre Taten ad extra sind.
ERNST Wie meinst du das?
FALK Nur ihre Taten, die dem Volke in die Augen fallen; – nur Taten, die sie bloß deswegen tun, damit sie dem Volke in die Augen fallen sollen.
ERNST Um Achtung und Duldung zu genießen?
FALK Könnte wohl sein.
ERNST Aber ihre wahren Taten denn? – Du schweigst?
FALK Wenn ich dir nicht schon geantwortet hätte? – Ihre wahren Taten sind ihr Geheimnis.
ERNST Ha! ha! Also auch nicht erklärbar durch Worte?
FALK Nicht wohl! – Nur so viel kann und darf ich dir sagen: die wahren Taten der Freimaurer sind so groß, so weit aussehend, daß ganze Jahrhunderte vergehen können, ehe man sagen kann: das haben sie getan! – Gleichwohl haben sie alles Gute getan, was noch in der Welt ist, – merke wohl: in der Welt! – Und fahren fort, an alle dem Guten zu arbeiten, was noch in der Welt werden wird, – merke wohl, in der Welt.
ERNST O geh! Du hast mich zum Besten.
FALK Wahrlich nicht. – Aber sieh! dort fliegt ein Schmetterling, den ich haben muß. Es ist der von der Wolfmilchsraupe. – Geschwind sage ich dir nur noch: die wahren Taten der Freimauer zielen dahin, um größtenteils alles, was man gemeiniglich gute Taten zu nennen pflegt, entbehrlich zu machen.
ERNST Und sind doch auch gute Taten?
FALK Es kann keine bessere geben. – Denke einen Augenblick darüber nach. Ich bin gleich wieder bei dir.
ERNST Gute Taten, welche darauf zielen, gute Taten entbehrlich zu machen? – Das ist ein Rätsel. Und über ein Rätsel denke ich nicht nach. – Lieber lege ich mich indes unter den Baum und sehe den Ameisen zu.

Zweites Gespräch

ERNST Nun? wo bleibst du denn? Und hast den Schmetterling doch nicht?
FALK Er lockte mich von Strauch zu Strauch, bis an den Bach. – Auf einmal war er herüber.
ERNST Ja, ja. Es gibt solche Locker!
FALK Hast du nachgedacht?
ERNST Über was? Über dein Rätsel? – Ich werde ihn auch nicht fangen, den schönen Schmetterling! Darum soll er mir aber auch weiter keine Mühe machen. – Einmal von der Freimaurerei mit dir gesprochen und nie wieder. Denn ich ja sehe wohl, du bis wie sie alle.
FALK Wie sie alle? Das sagen diese alle nicht.
ERNST Nicht? So gibt es ja wohl auch Ketzer unter den Freimaurern? Und du wärest einer? – Doch alle Ketzer haben mit den Rechtgläubigen immer noch etwas gemein. Und davon sprach ich.
FALK Wovon sprachst Du?
ERNST Rechtgläubige oder ketzerische Freimaurer – sie alle spielen mit Worten und lassen sich fragen und antworten, ohne zu antworten.
FALK Meinst du? – Nun wohl, so laß uns von etwas andern reden. Denn einmal hast du mich aus dem behäglichen Zustande des stummen Staunens gerissen –
ERNST Nichts ist leichter, als dich in diesen Zustand wieder zu versetzen. – Laß dich nur hier bei mir nieder, und sieh!
FALK Was denn?
ERNST Das Leben und Weben auf und in und um diesen Ameisenhaufen. Welche Geschäftigkeit, und doch welche Ordnung! Alles trägt und schleppt und schiebt; und keines ist dem andern hinderlich. Sieh nur! Sie helfen einander sogar.
FALK Die Ameisen leben in Gesellschaft, wie die Bienen.
ERNST Und in einer noch wunderbarern Gesellschaft als die Bienen. Denn sie haben niemand unter sich, der sie zusammenhält und regieret.
FALK Ordnung muß also doch auch ohne Regierung bestehen können.
ERNST Wenn jedes einzelne sich selbst zu regieren weiß: warum nicht?
FALK Ob es wohl auch einmal mit den Menschen dahin kommen wird?
ERNST Wohl schwerlich!
FALK Schade!
ERNST Jawohl!
FALK Steh auf und laß uns gehen. Denn sie werden dich bekriechen, die Ameisen; und eben fällt auch mir etwas bei, was ich bei dieser Gelegenheit dich noch fragen muß. – Ich kenne deine Gesinnung darüber doch gar nicht.
ERNST Worüber?
FALK Über die bürgerliche Gesellschaft des Menschen überhaupt. – Wofür hältst du sie?
ERNST Für etwas sehr Gutes.
FALK Ohnstreitig. – Aber hälst du sie für Zweck oder Mittel?
ERNST Ich verstehe dich nicht.
FALK Glaubst du, daß die Menschen für die Staaten erschaffen werden? Oder daß die Staaten für die Menschen sind?
ERNST Jenes scheinen einige behaupten zu wollen. Dieses aber mag wohl das Wahrere sein.
FALK So denke ich auch. – Die Staaten vereinigen die Menschen, damit durch diese und in dieser Vereinigen jeder einzelne Mensch seinen Teil von Glückseligkeit desto besser und sichrer genießen könne. – Das Totale der einzeln Glückseligkeiten aller Glieder ist die Glückseligkeit des Staats. Außer dieser gibt es gar keine. Jede andere Glückseligkeit des Staats, bei welcher auch noch so wenig einzelne Glieder leiden und leiden müssen, ist Bemäntelung der Tyrannei. Anders nichts!
ERNST Ich möchte das nicht so laut sagen.
FALK Warum nicht?
ERNST Eine Wahrheit, die jeder nach seiner eigenen Lage beurteilt, kann leicht gemißbraucht werden.
FALK Weiß du, Freund, daß du schon ein halber Freimaurer bist?
ERNST Ich?
FALK Du. Denn du erkennst ja schon Wahrheiten, die man besser verschweigt.
ERNST Aber doch sagen könnte.
FALK Der Weise kann nicht sagen, was er besser verschweigt.
ERNST Nun, wie du willst! – Laß uns auf die Freimaurer nicht wieder zurückkommen. Ich mag ja von ihnen weiter nichts wissen.
FALK Verzeih! – Du siehst wenigstens meine Bereitwilligkeit, dir mehr von ihnen zu sagen.
ERNST Du spottest. — Gut! das bürgerliche Leben des Menschen, alle Staatsverfassungen sind nichts als Mittel zur menschlichen Glückseligkeit. Was weiter?
FALK Nichts als Mittel! Und Mittel menschlicher Erfindung; ob ich gleich nicht leugnen will, daß die Natur alles so eingerichtet, daß der Mensch sehr bald auf diese Erfindung geraten müssen.
ERNST Dieses hat denn auch wohl gemacht, daß einige die bürgerliche Gesellschaft für Zweck der Natur gehalten. Weil alles, unsere Leidenschaften und unsere Bedürfnisse, alles darauf führe, sei sie folglich das letzte, worauf die Natur gehe. So schlossen sie. Als ob die Natur nicht auch die Mittel zweckmäßig hervorbringen müssen! Als ob die Natur mehr die Glückseligkeit eines abgezogenen Begriffs – wie Staat, Vaterland und dergleichen sind – als die Glückseligkeit jedes wirklichen einzeln Wesens zur Absicht gehabt hätte!
FALK Sehr gut! Du kommst mir auf dem rechten Wege entgegen. Denn nun sage mir, wenn die Staatsverfassungen Mittel, Mittel menschlicher Erfindungen sind: Sollten sie allein von dem Schicksale menschlicher Mittel ausgenommen sein?
ERNST Was nennst du Schicksale menschlicher Mittel?
FALK Das, was unzertrennlich mit menschlichen Mitteln verbunden ist; was sie von göttlichen unfehlbaren Mitteln unterscheidet.
ERNST Was ist das?
FALK Daß sie nicht unfehlbar sind. Daß sie ihrer Absicht nicht allein öfters nicht entsprechen, sondern auch wohl gerade das Gegenteil davon bewirken.
ERNST Ein Beispiel! wenn dir eines einfällt.
FALK So sind Schiffahrt und Schiffe Mittel, in entlegene Länder zu kommen, und werden Ursache, daß viele Menschen nimmermehr dahin gelangen.
ERNST Die nämlich Schiffbruch leiden und ersaufen. Nun glaube ich dich zu verstehen. – Aber man weiß ja wohl, woher es kommt, wenn so viel einzelne Menschen durch die Staatsverfassung an ihrer Glückseligkeit nichts gewinnen. Der Staatsverfassungen sind viele; eine ist also besser als die andere; manche ist sehr fehlerhaft, mit ihrer Absicht offenbar streitend; und die beste soll vielleicht noch erfunden werden.
FALK Das ungerechnet! Setze die beste Staatsverfassung, die sich nur denken läßt, schon erfunden; setze, daß alle Menschen in der ganzen Welt diese beste Staatsverfassung angenommen haben: meinst du nicht, daß auch dann noch, selbst aus dieser besten Staatsverfassung, Dinge entspringen müssen, welche der menschlichen Glückseligkeit höchst nachteilig sind, und wovon der Mensch in dem Stande der Natur schlechterdings nichts gewußt hätte?
ERNST Ich meine: wenn dergleichen Dinge aus der besten Staatsverfassung entsprängen, daß es sodann die beste Staatsverfassung nicht wäre.
FALK Und eine bessere möglich wäre? – Nun, so nehme ich diese bessere als die beste an: und frage das nämliche.
ERNST Du scheinst mir hier bloß von vorne herein aus dem angenommenen Begriffe zu vernünfteln, daß jedes Mittel menschlicher Erfindung, wofür du die Staatsverfassung samt und sonders erklärest, nicht anders als mangelhaft sein könne.
FALK Nicht bloß.
ERNST Und es würde dir schwer werden, eins von jenen nachteiligen Dingen zu nennen
FALK Die auch aus der besten Staatsverfassung notwendig entspringen müssen? – O zehne für eines.
ERNST Nur eines erst.
FALK Wir nehmen also die beste Staatsverfassung für erfunden an; wir nehmen an, daß alle Menschen in der Welt in dieser besten Staatsverfassung leben: würden deswegen alle Menschen in der Welt nur einen Staat ausmachen?
ERNST Wohl schwerlich. Ein so ungeheurer Staat würde keiner Verwaltung fähig sein. Er müßte sich also in mehrere kleine Staaten verteilen, die alle nach den nämlichen Gesetzen verwaltet würden.
FALK Das ist: die Menschen würden auch dann noch Deutsche und Franzosen, Holländer und Spanier, Russen und Schweden sein; oder wie sie sonst heißen würden.
ERNST Ganz gewiß!
FALK Nun, da haben wir ja schon eines. Denn nicht wahr, jeder dieser kleinern Staaten hätte sein eignes Interesse? und jedes Glied derselben hätte das Interesse seines Staats?
ERNST Wie anders?
FALK Diese verschiedene Interesse würden öfters in Kollision kommen, so wie itzt: und zwei Glieder aus zwei verschiedenen Staaten würden einander ebensowenig mit unbefangenem Gemüt begegnen können, als itzt ein Deutscher einem Franzosen, ein Franzose einem Engländer begegnet.
ERNST Sehr wahrscheinlich!
FALK Das ist: wenn itzt ein Deutscher einem Franzosen, ein Franzose einem Engländer, oder umgekehrt, begegnet, so begegnet nicht mehr ein bloßer Mensche einem bloßen Menschen, die vermöge ihrer gleichen Natur gegen einander angezogen werden, sondern ein solcher Mensch begegnet einem solchen Menschen, die ihrer verschiednen Tendenz sich bewußt sind, welches sie gegeneinander kalt, zurückhaltend, mißtrauisch macht, noch ehe sie für ihre einzelne Person das geringste miteinander zu schaffen und zu teilen haben.
ERNST Das ist leider wahr.
FALK Nun, so ist es denn auch wahr, daß das Mittel, welches die Menschen vereiniget, um sie durch diese Vereinigung ihres Glückes zu versichern, die Menschen zugleich trennet.
ERNST Wenn du es so verstehest.
FALK Tritt einen Schritt weiter. Viele von den kleinern Staaten würden ein ganz verschiedenes Klima, folglich ganz verschiedene Beürfnisse und Befriedigungen, folglich ganz verschiedene Gewohnheiten und Sitten, folglich ganz verschiedene Sittenlehren, folglich ganz verschiedene Religionen haben. Meinst du nicht?
ERNST Das ist ein gewaltiger Schritt!
FALK Die Menschen würden auch dann noch Juden und Christen und Türken und dergleichen sein.
ERNST Ich getraue mir nicht, nein zu sagen.
FALK Würden sie das, so würden sie auch, sie möchten heißen, wie sie wollten, sich untereinander nicht anders verhalten, als sich unsere Christen und Juden und Türken von jeher untereinander verhalten haben. Nicht als bloße Menschen gegen bloße Menschen; sondern als solche Menschen gegen solche Menschen, die sich einen gewissen geistigen Vorzug streitig machen, und darauf Rechte gründen, die dem natürlichen Menschen nimmermehr einfallen könnten.
ERNST Das ist sehr traurig; aber leider doch sehr vermutlich.
FALK Nur vermutlich?
ERNST Denn allenfalls dächte ich doch, so wie du angenommen hast, daß alle Staaten einerlei Verfassung hätten, daß sie auch wohl alle einerlei Religion haben könnten. Ja ich begreife nicht, wie einerlei Staatsverfassung ohne Religion auch nur möglich ist.
FALK Ich ebensowenig. – Auch nahm ich jenes nur an, um deine Ausflucht abzuschneiden. Eines ist zuverlässig ebenso unmöglich als das andere. Ein Staat: mehrere Staaten. Mehrere Staaten: mehrere Staatsverfassungen. Mehrere Staatsverfassungen: mehrere Religionen.
ERNST Ja, ja, so scheint es.
FALK So ist es. – Nun sieh da das zweite Unheil, welches die bürgerliche Gesellschaft, ganz ihrer Absicht entgegen, verursacht. Sie kann die Menschen nicht vereinigen, ohne sie zu trennen; nicht trennen, ohne Klüfte zwischen ihnen zu befestigen, ohne Scheidemauern durch sie hinzuziehen.
ERNST Und wie schrecklich diese Klüfte sind! wie unübersteiglich oft diese Scheidemauern!
FALK Laß mich noch das dritte hinzufügen. – Nicht genug, daß die bürgerliche Gesellschaft die Menschen in verschiedene Völker und Religionen teilet und trennet. – Diese Trennung in wenige große Teile, deren jeder für sich ein Ganzes wäre, wäre doch immer noch besser als gar kein Ganzes. – Nein, die bürgerliche Gesellschaft setzt ihre Trennung auch in jedem dieser Teile gleichsam bis ins Unendliche fort.
ERNST Wieso?
FALK Oder meinst du, daß ein Staat sich ohne Verschiedenheit von Ständen denken läßt? Er sei gut oder schlecht, der Vollkommenheit mehr oder weniger nahe: unmöglich können alle Glieder desselben unter sich das nämliche Verhältnis haben. – Wenn sie auch alle an der Gesetzgebung Anteil haben: so können sie doch nicht gleichen Anteil haben, wenigstens nicht gleich unmittelbaren Anteil. Es wird also vornehmere und geringere Glieder geben. – Wenn anfangs auch alle Besitzungen des Staats unter sie gleich verteilet worden, so kann diese gleiche Verteilung doch keine zwei Menschenalter bestehen. Einer wird sein Eigentum besser zu nutzen wissen als der andere. Einer wird sein schlechter genutztes Eigentum gleichwohl unter mehrere Nachkommen zu verteilen haben als der andere. Es wird also reichere und ärmere Glieder geben.
ERNST Das versteht sich.
FALK Nun überlege, wieviel Übel es in der Welt wohl gibt, das in dieser Verschiedenheit der Stände seinen Grund nicht hat.
ERNST Wenn ich dir doch widersprechen könnte! – Aber was hatte ich für Ursache, dir überhaupt zu widersprechen? – Nun ja, die Menschen sind nur durch Trennung zu vereinigen! nur durch unaufhörliche Trennung in Vereinigung zu erhalten! Das ist nun einmal so. Das kann nun nicht anders sein.
FALK Das sage ich eben!
ERNST Also, was willst du damit? Mir das bürgerliche Leben dadurch verleiden? Mich wünschen machen, daß den Menschen der Gedanke, sich in Staaten zu vereinigen, nie möge gekommen sein?
FALK Verkennst du mich so weit? – Wenn die bürgerliche Gesellschaft auch nur das Gute hätte, daß allein in ihr die menschliche Vernunft angebauet werden kann, ich würde sie auch bei weit größern Übeln noch segnen.
ERNST Wer des Feuers genießen will, sagt das Sprichwort, muß sich den Rauch gefallen lassen.
FALK Allerdings! – Aber weil der Rauch bei dem Feuer unvermeidlich ist: durfte man darum keinen Rauchfang erfinden? Und der den Rauchfang erfand, war der darum ein Feind des Feuers? – Sieh, dahin wollte ich.
ERNST Wohin? – Ich verstehe dich nicht.
FALK Das Gleichnis war doch sehr passend. – – Wenn die Menschen nicht anders in Staaten vereinigt werden konnten als durch jene Trennungen: werden sie darum gut, jene Trennungen?
ERNST Das wohl nicht.
FALK Werden sie darum heilig, jene Trennungen?
ERNST Wie heilig?
FALK Daß es verboten sein sollte, Hand an sie zu legen?
ERNST In Absicht? …
FALK In Absicht, sie nicht größer einreißen zu lassen, als die Nowendigkeit erfordert. In Absicht, ihre Folgen so unschädlich zu machen als möglich.
ERNST Wie könnte das verboten sein?
FALK Aber geboten kann es doch auch nicht sein; durch bürgerliche Gesetze nicht geboten! – Denn bürgerliche Gesetze erstrecken sich nie über die Grenzen ihres Staats. Und dieses würde nun gerade außer den Grenzen aller und jeder Staaten liegen. – Folglich kann es nur ein „Opus supererogatum“ sein: und es wäre bloß zu wünschen, daß sich die Weisesten und Besten eines jeden Staats diesem „Operi supererogato“ freiwillig unterzögen.
ERNST Bloß zu wünschen; aber recht sehr zu wünschen.
FALK Ich dächte!  Recht sehr zu wünschen, daß es in jedem Staate Männer geben möchte, die über die Vorurteile der Völkerschaft hinweg wären und genau wüßten, wo Patriotismus Tugend zu sein aufhöret.
ERNST Recht sehr zu wünschen!
FALK  Recht sehr zu wünschen, daß es in jedem Staate Männer geben möchte, die dem  Vorurteile ihrer angeborenen Religion nicht unterlägen; nicht glaubten, daß alles notwendig gut und wahr sein müsse, was sie für gut und wahr erkennen.
ERNST Recht sehr zu wünschen!
FALK  Recht sehr zu wünschen, daß es in jedem Staate geben Männer möchte,  welche bürgerliche Hoheit nicht blendet und bürgerliche Geringfügigkeit nicht ekelt; in deren Gesellschaft der Hohe sich gern herab läßt und der Geringe sich dreist erhebet. 
ERNST Recht sehr zu wünschen!
FALK Und wenn er erfüllt wäre, dieser Wunsch?
ERNST Erfüllt? – Es wird freilich hier und da, dann und wann, einen solchen Mann geben.
FALK Nicht bloß hier und da; nicht bloß dann und wann.
ERNST Zu gewissen Zeiten, in gewissen Ländern auch mehrere.
FALK Wie, wenn es dergleichen Männer itzt überall gäbe? zu allen Zeiten nun ferner geben müßte?
ERNST Wollte Gott!
FALK Und diese Männer nicht in einer unwirksamen Zerstreuung lebten? nicht immer in einer unsichtbaren Kirche?
ERNST Schöner Traum!
FALK Daß ich es kurz mache. – Und diese Männer die Freimaurer wären?
ERNST Was sagst du?
FALK Wie, wenn es die Freimaurer wären, die sich mit zu ihrem Geschäfte gemacht hätten, jene Trennungen, wodurch die Menschen einander so fremd werden, so eng als möglich wieder zusammenzuziehen?
ERNST Die Freimaurer?
FALK Ich sage: mit zu ihrem Geschäfte.
ERNST Die Freimaurer?
FALK Ach! verzeih! – Ich hatt‘ es schon wieder vergessen, daß du von den Freimaurern weiter nichts hören willst – Dort winkt man uns eben zum Frühstücke. Komm!
ERNST Nicht doch! – noch einen Augenblick! – Die Freimaurer, sagst du –
FALK Das Gespräch brachte mich wider Willen auf sie zurück. Verzeih! – Komm! Dort in der größeren Gesellschaft werden wir bald Stoff zu einer tauglicheren Unterredung finden. Komm!

 Drittes Gespräch

ERNST Du bist mir den ganzen Tag im Gedränge der Gesellschaft ausgewichen. Aber ich verfolge dich in dein Schlafzimmer.
FALK Hast du mir so etwas Wichtiges zu sagen? Der bloßen Unterhaltung bin ich auf heute müde.
ERNST Du spottest meiner Neugierde.
FALK Deiner Neugierde?
ERNST Die du diesen Morgen so meisterhaft zu erregen wußtest.
FALK Wovon sprachen wir diesen Morgen?
ERNST Von den Freimaurern.
FALK Nun? – Ich habe dir im Rausche des Pyrmonter doch nicht das Geheimnis verraten?
ERNST Das man, wie du sagst, gar nicht verraten kann.
FALK Nun freilich; das beruhigt mich wieder.
ERNST Aber du hast mir doch über die Freimaurer etwas gesagt, das mir unerwartet war; das mir auffiel; das mich denken machte.
FALK Und was war das?
FRNST O quäle mich nicht! – Du erinnerst dich dessen gewiß.
FALK Ja, es fällt mir nach und nach wieder ein. – Und das war es, was dich den ganzen langen Tag unter deinen Freunden und Freundinnen so abwesend machte?
ERNST Das war es! – Und ich kann nicht einschlafen, wenn du mir wenigstens nicht noch eine Frage beantwortest.
FALK Nach dem die Frage sein wird.
ERNST Woher kannst du mir aber beweisen, wenigstens nur wahrscheinlich machen, daß die Freimaurer wirklich jene große und würdige Absichten haben?
FALK Habe ich dir von ihren Absichten gesprochen? Ich wüßte nicht. – Sondern da du dir gar keinen Begriff von den wahren Taten der Freimaurer machen konntest, habe ich dich bloß auf einen Punkt aufmerksam machen wollen, wo noch so vieles geschehen kann, wovon sich unsere staatsklugen Köpfe gar nichts träumen lassen. – Vielleicht, daß die Freimaurer da herum arbeiten. – Vielleicht! da herum! – Nur um dir dein Vorurteil zu benehmen, daß alle baubedürftige Plätze schon ausgefunden und besetzt, alle nötigen Arbeiten schon unter die erforderlichen Hände verteilet wären.
ERNST Wende dich itzt, wie du willst. – Genug, ich denke mir nun aus deinen Reden die Freimaurer als Leute, die es freiwillig über sich genommen haben, den unvermeidlichen Übeln des Staats entgegenzuarbeiten.
FALK Dieser Begriff kann den Freimaurern wenigstens keine Schande machen. – Bleib dabei! – Nur fasse ihn recht. Menge nichts hinein, was nicht hinein gehöret. – Den unvermeidlichen Übeln des Staats! – Nicht dieses und jenes Staats. Nicht den unvermeidlichen Übeln, welche, eine gewisse Staatsverfassung einmal angenommen, aus dieser angenommenen Staatsverfassung nun notwendig folgen. Mit diesen gibt sich der Freimaurer niemals ab; wenigstens nicht als Freimaurer. Die Linderung und Heilung dieser überläßt er dem Bürger, der sich nach seiner Einsicht, nach seinem Mute, auf seine Gefahr damit befassen mag. Übel ganz anderer Art, ganz höherer Art, sind der Gegenstand seiner Wirksamkeit.
ERNST Ich habe das sehr wohl begriffen. – Nicht Übel, welche den mißvergnügten Bürger machen, sondern Übel, ohne welche auch der glücklichste Bürger nicht sein kann.
FALK Recht! Diesen entgegen – wie sagtest du? – entgegenzuarbeiten?
ERNST Ja!
FALK Das Wort sagt ein wenig viel. – Entgegenarbeiten! – Um sie völlig zu heben? – Das kann nicht sein. Denn man würde den Staat selbst mit ihnen zugleich vernichten. – Sie müssen nicht einmal denen mit eins merklich gemacht werden, die noch gar keine Empfindung davon haben. Höchstens diese Empfindung in dem Menschen von weiten veranlassen, ihr Aufkeimen begünstigen, ihre Pflanzen versetzen, bejäten, beblatten – kann hier entgegenarbeiten heißen. – Begreifst du nun, warum ich sagte, ob die Freimaurer schon immer tätig wären, daß Jahrhunderte dennoch vergehen könnten, ohne daß sich sagen lasse: das haben sie getan.
ERNST Und verstehen auch nun den zweiten Zug des Rätsels. – Gute Taten, welche gute Taten entbehrlich machen sollen.
FALK Wohl! – Nun geh und studiere jene Übel, und lerne sie alle kennen, und wäge alle ihre Einflüsse gegeneinander ab, und sei versichert, daß dir dieses Studium Dinge aufschließen wird, die in Tagen der Schwermut die niederschlagendsten, unauflöslichsten Einwürfe wider Vorsehung und Tugend zu sein scheinen. Dieser Aufschluß, diese Erleuchtung, wird dich ruhig und glücklich machen; auch ohne Freimaurer zu heißen.
ERNST Du legest auf dieses heißen so viel Nachdruck.
FALK Weil man etwas sein kann, ohne es zu heißen.
ERNST Gut das! ich versteh. – Aber auf meine Frage wieder zu kommen, die ich nur ein wenig anders einkleiden muß. Da ich sie doch nun kenne, die Übel, gegen welche die Freimaurerei angehet – –
FALK Du kennest sie?
ERNST Hast du mir sie nicht selbst genannt?
FALK Ich habe dir einige zur Probe namhaft gemacht. Nur einige von denen, die auch dem kurzsichtigsten Auge einleuchten: nur einige von den unstreitigsten, weit umfassendsten. – Aber wie viele sind nicht noch übrig, die, ob sie schon nicht so einleuchten, nicht so unstreitig sind, nicht so viel umfassen, dennoch nicht weniger gewiß, nicht weniger notwendig sind!
ERNST So laß mich meine Frage denn bloß auf diejenigen Stücke einschränken, die du mir selbst namhaft gemacht hat. – Wie beweisest du mir auch nur von diesen Stücken, daß die Freimaurer wirklich ihr Absehen darauf haben? – Du schweigst? – Du sinnest nach?
FALK Wahrlich nicht dem, was ich auf diese Frage zu antworten hätte! – Aber ich weiß nicht, was ich mir für Ursachen denken soll, warum du mir diese Frage tust?
ERNST Und du willst mir meine Frage beantworten, wenn ich dir die Ursachen derselben sage?
FALK Das verspreche ich dir.
ERNST Ich kenne und fürchte deinen Scharfsinn.
FALK Meinen Scharfsinn?
ERNST Ich fürchte, du verkaufst mir deine Spekulation für Tatsache.
FALK Sehr verbunden!
ERNST Beleidigt dich das?
FALK Vielmehr muß ich dir danken, daß du Scharfsinn nennest, was du ganz anders hättest benennen können.
ERNST Gewiß nicht. Sondern ich weiß, wie leicht der Scharfsinnige sich selbst betrügt; wie leicht er andern Leuten Plane und Absichten leihet und unterlegt, an die sie nie gedacht haben.
FALK Aber woraus schließt man auf der Leute Plane und Absichten? Aus ihren einzeln Handlungen doch wohl?
ERNST Woraus sonst? – Und hier bin ich wieder bei meiner Frage. – Aus welchen einzeln, unstreitigen Handlungen der Freimaurer ist abzunehmen, daß es auch nur mit ihr Zweck ist, jene von dir benanntge Trennung, welche Staat und Staaten unter den Menschen notwendig machen müssen, durch sich und in sich wieder zu vereinigen?
FALK Und zwar ohne Nachteil dieses Staats und dieser Staaten.
ERNST Desto besser! – Es brauchen auch vielleicht nicht Handlungen zu sein, woraus jenes abzunehmen. Wenn es nur gewisse Eigentümlichkeiten, Besonderheiten sind, die dahin leiten oder daraus entspringen. – Von dergleichen müßtest du sogar in deiner Spekulation ausgegangen sein; gesetzt, daß dein System nur Hypothese wäre.
FALK Dein Mißtrauen äußert sich noch. – Aber ich hoffe, es soll sich verlieren, wenn ich dir ein Grundgesetz der Freimaurerei zu Gemüte führe.
ERNST Und welches?
FALK Aus welchem sie nie ein Geheimnis gemacht haben. Nach welchem sie immer vor den Augen der ganzen Welt gehandelt haben.
ERNST Das ist?
FALK Das ist, jeden würdigen Mann von gehöriger Anlage, ohne Unterschied des Vaterlandes, ohne Unterschied der Religion, ohne Unterschied seines bürgerlichen Standes, in ihren Orden aufzunehmen.
ERNST Wahrhaftig!
FALK Freilich scheinet diese Grundgesetze dergleichen Männer, die über jene Trennungen hinweg sind, vielmehr bereits vorauszusetzen, als die Absicht zu haben, sie zu bilden. Allein das Nitrum muß ja wohl in der Luft sein, ehe es sich als Salpeter an den Wänden anlegt.
ERNST O ja!
FALK Und warum sollten die Freimaurer sich nicht hier einer gewöhnlichen List haben bedienen dürfen? – Daß man einen Teil seiner geheimen Absichten ganz offenbar treibt, um den Argwohn irre zu führen, der immer ganz etwas anders vermutet als er sieht.
ERNST Warum nicht?
FALK Warum sollte der Künstler, der Silber machen kann, nicht mit altem Bruchsilber handeln, damit man so weniger argwohne, daß er es machen kann?
ERNST Warum nicht?
FALK Ernst! – Hörst du mich? – Du antwortest im Traume, glaub‘ ich.
ERNST Nein, Freund! Aber ich habe genug; genug auf diese Nacht. Morgen, mit dem frühsten, kehre ich wieder nach der Stadt.
FALK Schon? Und warum so bald?
ERNST Du kennst mich und fragst? Wie lange dauert deine Brunnenkur noch?
FALK Ich habe sie vorgestern erst angefangen.
ERNST So sehe ich dich vor dem Ende derselben noch wieder. – Lebe wohl! gute Nacht!